Social Reading im Web

Wir haben die größte Strecke hinter uns und haben neben Megastädten, kleinere Städten und auch die Social-Media-Infrastruktur betrachtet. Jetzt im 7. Modul schauen wir uns punktuelle Highlights an und widmen uns vielleicht auch dem etwas Unbekannteren. In dieser Lektion des letzten Moduls widmen wir uns dem Thema „Social Reading“.

Die Geschichte des Lesens beginnt ziemlich früh in der Menschheitsgeschichte mit den Höhlenmalereien der Urzeit und ist auch heute – trotz zunehmender Sprachnachrichten und Hörbücher – nicht wegzudenken. Dies macht der folgende Film deutlich:

https://youtu.be/Pzppayh4M28

Lesen hat dabei oft einen sinnlichen Charakter und stellt eine eher auf sich bezogene, einsame und persönliche Tätigkeit dar.

Es braucht Muße, Ruhe und Zeit, um in einem Buch zu versinken, sich darin zu vertiefen und ganz und gar in die darin enthaltene Geschichte einzutauchen. Dazu zieht man sich zurück und macht es sich gemütlich, um ganz in den Seiten zu versinken.

Lesen als soziale Tätigkeit

Endet dann das Buch, hat manch einer den Wunsch, sich über das Gelesene mit anderen austauschen zu können, manchmal auch die Handlungsbögen weiterzuspinnen oder weitere Bücher eines ähnlichen Genres oder Schreibstils zu finden. Haben Sie sich wiedererkannt?

Natürlich gibt es auch heute noch Leseklubs (auch Lesekreis, Buchklub etc.), die sich beim Kaffeekränzchen, einem Glas Wein oder in anderer geselliger Runde zum Austausch über ein Buch zusammenfinden, bei denen alle das Buch zur gleichen Zeit gelesen haben und die dann einen festen Termin finden müssen, um darüber sprechen zu können. Zum nächsten Treffen wird dann ein neuer Termin und ein neuer Titel, den alle bis dahin gelesen haben sollten, vereinbart.

Lesekreis in Jena, Foto: S. Könitzer

Wem dieses fest Organisierte nicht liegt, der sich aber dennoch austauschen möchte, dem helfen diverse Social-Reading-Plattformen weiter. Lesen wird somit zu einem sozialen Tun.

Die Tätigkeit des Lesens mit ihren oben beschriebenen, typischen „Begleitausprägungen“ hat längst eine Entsprechung im digitalen Raum erhalten.

Unter social reading wird im Folgenden verstanden: Ein online geführter, intensiver und dauerhafter Austausch über Texte.

Pleimling, Domenique: Social Reading im digitalen Zeitalter, In: APuZ (02.10.2012)

Möglich wird dies durch die zunehmende Digitalisierung von Medien (u.a. Büchern) sowie durch Funktionalitäten des Social Web, die einen Austausch ohne „Programmierkenntnisse“ ermöglichen. Ein Austausch entsteht überall da, wo Menschen im Netz miteinander kommunizieren, z.B. in Chats, Foren, Blogs, Sozialen Netzwerken oder auch auf speziellen Social Reading-Plattformen, die den Austausch durch weitere Optionen ergänzen.

Was im Allgemeinen unter Social Reading verstanden wird und warum das gemeinsame Lesen eigentlich gar kein so neues Phänomen ist, können Sie sich in dem folgenden Film ansehen:

Social Reading-Plattformen

Vor etwa 15 Jahren entstanden die ersten Social Reading-Plattformen, z.B. klassisch als Forum mit Terminkalender für Lesekreise: Büchereule (Gründung ca. 2004), klassisch als Katalog mit Community-Anteilen: LibraryThing (Gründung 2005) oder klassisch als Community: goodreads (Gründung 2007).

Wenn Sie online schon mal nach einem bestimmten Titel, einer Buchreihe oder einem Genre gesucht hat, der ist mit großer Wahrscheinlichkeit bereits auf populäre Social Reading-Plattformen, wie beispielsweise „Goodreads“ gestoßen. Bekannte Beispiele für deutsche Plattformen sind „Lovelybooks“ und „Büchertreff.de“. Thematisch spezialisierter? Dann ist vielleicht die Krimi-Couch, eine Mischung aus Magazin und Community etwas für Sie. Der Markt der Social-Reading-Plattformen ist umkämpft und oft stecken hinder den großen Plattvormen inzwischen große Verlage oder Konzerne. So wurde „Goodreads“ 2013 komplett von Amazon aufgekauft und „Lovelybooks“ ist eine hundertprozentige Tochter der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Die Krimi-Couch und alle anderen Ableger gehören zur Literatur-Couch Medien GmbH & Co. KG.

Die Eigentümer verfolgen mit dem Betreiben der Plattform auch verschiedene Ziele, z.B. ihre Produkte zu bewerben und zu verkaufen, aber auch das Leseverhalten für sich auswertbar zu machen. Als relative unabhängige Social Reading-Plattform agiert „whatchareadin“ von Helmut Pöll (Verknüpfung mit Amazon und Adible durch Affiliate-Programm), während hinter Wasliestdu.de die Mayersche Buchhandlung GmbH & Co. KG steckt.

Funktionen von Social Reading-Plattformen

Es gibt einige zentrale Grundfunktionen, die solche Social Reading-Plattformen innehaben:

  • virtuelles Bücherregal („Katalogisieren“ der gelesenen Bücher ohne großen Aufwand)
  • Wunschlisten (ggf. mit Schenkungsmöglichkeiten)
  • Suche und Stöberfunktionen (Beste Bücher des Monats, Neuerscheinungen, Charts, Geburtstage eines Autors, Zitate, Tags, Hop oder Top
  • Personalisierte Empfehlungen aufgrund eigener gelesener Bücher, vergebener Tags, gelesener Bücher im „Freundeskreis“
  • Rezensionen (redaktionell, von Leser:innen)
  • Büchermagazine mit Neuerscheinungen etc.
  • Quizze und Gewinnspiele
  • Awards (aufgrund Leser:innenabstimmung)
  • Interaktion von Autor:innen mit der Lesercommunity oder der Leser:innen untereinander in Foren und (Themen-)Gruppen, auf lokalen Treffen im realen Leben, Leserunden, (Online-)Lesungen
  • ggf. Newsletter zu Neuerscheinungen, Neuigkeiten im Netzwerk
  • u. a.

Lesend kann man einige der oben aufgezählten Funktionen nutzen, für die Interaktion und personalisierte Funktionen ist aber eine Anmeldung notwendig.

Der gläserne Leser

Häufig sind auch E-Book-Reader mit sozialen Funktionen verknüpft. So kann man z. B. beim Kindle Passagen in den E-Books annotieren und sich anzeigen lassen, welche Teile eines Buches von anderen ebenfalls markiert worden. Nebenbei können die Anbieter so umfassende Informationen zu Vorlieben, Abneigungen, Lesegeschwindigkeit und Kommentaren erhalten , die dann von den Verlagen oder E-Book-Anbietern getrackt werden können. Durch zunehmende Analyse-Methoden eröffnen sich dem digitalen Buchmarkt ganz neue Möglichkeiten, insbesondere hinsichtlich des Marketings. Auch die Autor:innen können so unter Umständen Hinweise erhalten, wie das neueste Buch überarbeitet werden müsste, um eine größere Leserschaft zu erhalten.

„Social Reading“ im Wissenschaftlichen Bereich

Der Kurs „netzwerkeln“ hat eine tiefere Ausrichtung auf Kolleg:innen aus wissenschaftlichen Einrichtungen. Da stellt sich natürlich die Frage, ob es ein „Social Reading“ auch im Wissenschaftlichen Bereich gibt.

Ein Beispiel ist Lectory, welches es unter dem Motto „Gemeinsam mehr erlesen“ erlaubt, gemeinsam in einer Online-Umgebung Texte (Bücher) zu kommentieren und diskutieren. Texte können dabei interaktiv, multimedial sowie miteinander vernetzt erarbeitet werden.

Lectory wird u. a. durch die Stiftung Universität Hildesheim lizenziert und ermöglicht es Lehrenden geschlossene Lesegruppen zu schaffen, bei dem im geschützten Bereich Studierende sich Texte gemeinsam erschließen können. So sollen Aufgaben gemeinsam gelöst, auf Augenhöhe miteinander kommuniziert und letztendlich eine Diskussion aus dem virtuellen Raum in die „reale“ Welt getragen werden. Die Texte können dabei annotiert, d. h. mit Kommentaren, Links, Audios oder Videos angereichert werden.

Einen guten Überblick, über die Funktionsweise des Angebots gibt es in einem PDF der Plattform. So richtet sich dieses Angebot in erster Linie an Lehrer:innen, kann aber, wie Hildesheim zeigt, auch sehr gut für die Lehre an Hochschulen eingesetzt werden. Im Mittelpunkt steht hier das gemeinsame Lese- und Lernerlebnis.

Das Annotieren und somit auch das gemeinsame Lesen eines Textes funktioniert auch mit dem Annotationswerkzeug von Hypothes.is. So führt z.B. das Open Access Journal „Informationspraxis“ seit 2016 ein Open Peer Review-Verfahren mit diesem Werkzeug durch. Voraussetzung für die Nutzung des Tools ist eine Anmeldung bei Hypothes.is. Dabei handelt es sich um ein Open Community Project.

Weitere Informationen rund zum Thema Social Reading finden Sie auf der Extra-Seite [Extra] Modul 7 – Bunte Ideen oder Tools, Tools, Tools.

Entdeckeraufgaben

Besuchen Sie selbst jetzt eine oder mehrere der vorgestellten Social Reading-Plattformen wie „goodreads“, „Lovelybooks“, „LibraryThing“ und „whatchareadin„.

Gefällt Ihnen eines der Sozialen Lesenetzwerke, dann registrieren Sie sich dort oder Sie stöbern einfach nur in den öffentlich zugänglich Angeboten. Legen Sie dabei ein besonderes Augenmerk auf Funktionen, welche…

  1. … Neugierde wecken und zum Entdecken der Bücher und der Plattform anregen.
  2. … zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit der vorgestellten Literatur bewegen.
  3. …. zur Interaktion mit anderen Lesern auffordern.

Schreiben Sie währenddessen oder am Ende einen Blogbeitrag, in welchem Sie Ihre Erfahrungen insbesondere zu in Bezug auf die 3 obeng genannten Punkte wiedergeben.

Vielleicht können Sie zusätzlich noch eine der folgenden Fragen beantworten:

  • Welche typischen Social Web-Funktionen können Sie entdecken?
  • Welche Mehrwerte bieten Social Reading-Plattformen im Vergleich zum Lesen im realen, nicht vernetzten Raum?
  • Sehen Sie Funktionen oder Aktivierungsmöglichkeiten, welche sich auf die Vernetzung mit Ihren Bibliotheksnutzern- bspw. mittels des eigenen Bestandes- im realen oder digitalen Raum übertragen ließen?
  • Können Sie sich vorstellen, sich auf einer Social Reading-Plattform anzumelden und diese regelmäßig zu nutzen? Welche Anforderungen müsste eine Plattform dafür erfüllen?

Alternativ könnten Sie sich auch mit den eher für den wissenschaftlichen Bereich möglichen Social Reading-Funktionen auseinandersetzen.

  • Sehen Sie Social Reading-Angebote, bei denen (wissenschaftliche) Bibliotheken in der ein oder anderen Form unterstützen könnten? Wie könnte die Rolle der Bibliothek dabei aussehen?
  • Können Sie sich vorstellen, warum Bibliothekar:innen über solche Angebote Bescheid wissen sollten?
  • Kennen Sie weitere Angebote, die Sie als Social Reading-Funktion interepretieren würden?

Ich bin gespannt auf Ihre Antworten. Setzen Sie doch einfach einen Bezug auf diese Lektion (Link) oder schreiben Sie hier einen kurzen Kommentar mit Link zu Ihrem Beitrag.